Die Applied Behavior Analysis (ABA) ist eine weit verbreitete Therapieform, die darauf abzielt, das Verhalten von autistischen Kindern zu beeinflussen. Auf den ersten Blick mag das Konzept vielversprechend klingen: gezielte Verhaltensänderungen durch positive Verstärkung. Doch ein näherer Blick zeigt gravierende Schwachstellen, die nicht nur die Autonomie und das Wohlbefinden der Kinder ignorieren, sondern auch langfristige negative Folgen haben können.
ABA: Verhaltenstherapie oder Anpassungszwang?
ABA konzentriert sich darauf, autistische Verhaltensweisen zu reduzieren und neurotypische Verhaltensweisen zu forcieren. Dazu gehört auch die Unterdrückung von sogenanntem „Stimming“ – repetitive Bewegungen oder Handlungen, die autistischen Menschen helfen, Stress abzubauen und sich sicher zu fühlen. Diese Handlungen sind essenziell für ihr Wohlbefinden, doch in der ABA-Therapie werden sie oft als unerwünscht angesehen und unterdrückt.
Das Ziel scheint zu sein, den Autismus zu „korrigieren“ oder gar zu „überwinden“ – eine Haltung, die nicht nur unrealistisch, sondern auch tief problematisch ist. Die individuelle Persönlichkeit und die Bedürfnisse der Kinder werden dabei oft ignoriert. Stattdessen wird versucht, sie in eine neurotypische Norm zu pressen.
Unsere Erfahrungen mit ESDM
Henry wurde für das Early Start Denver Model (ESDM) ausgewählt, eine Therapieform, die auf ABA basiert, aber etwas kindzentrierter sein soll. Wir hofften auf eine Methode, die besser auf Henrys Bedürfnisse eingeht, doch auch hier wurden wir oft enttäuscht.
Ein zentraler Punkt, der uns negativ auffiel, war der Umgang mit Henrys Grenzen. Wenn er reizüberflutet war, wollte er den Raum verlassen und zu mir kommen – seinem Safe-Place. Doch nach kurzer Eingewöhnungsphase sollte ich den Raum verlassen, damit Henry sich „voll auf den Therapeuten einlassen kann“. Als Henry versuchte, den Raum zu verlassen, wurde er daran gehindert – auch durch Festhalten. Dieses Vorgehen hat mich zutiefst erschüttert. Denn was könnte schlimmer sein, als nicht zu seinem sicheren Ort zurückkehren zu dürfen, wenn die Welt um einen herum zusammenbricht?
Ein weiteres Problem war das Aufzwingen von Umarmungen nach den Therapiestunden. Henry wollte das nicht, doch sein Widerstand wurde ignoriert. Es war ein klarer Bruch mit seinem Recht auf Körperautonomie. Diese Erlebnisse haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.
Kein Schwarz-Weiß-Bild
Trotz all dieser Kritik möchte ich betonen, dass nicht alles negativ war. Es gab auch Momente, in denen Henry Spaß hatte und Fortschritte machte. Und sicherlich gibt es Familien, denen ABA oder ESDM geholfen hat. Doch für uns blieb der erhoffte Erfolg aus, und die belastenden Erfahrungen überwogen.
Fazit: Zeit für ein Umdenken
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die ABA-Therapie und ihre Ableger wie ESDM oft zu kurz greifen. Sie setzen auf Verhaltensänderung um jeden Preis, ohne das Kind als Ganzes zu sehen. Autistische Menschen brauchen keine Korrektur, sondern Verständnis, Akzeptanz und Unterstützung in ihrer Einzigartigkeit.
Therapien müssen auf die Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Kinder abgestimmt sein, ihre Autonomie respektieren und auf Zwang verzichten. Nur so können wir sicherstellen, dass sie nicht nur überleben, sondern gedeihen – als die einzigartigen und wunderbaren Menschen, die sie sind.


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